6.
… und nur selten war es, daß irgendwer ernsthaft auf den Fall zu sprechen kam und bei der Gelegenheit seine Verwunderung ausdrückte, daß die Leiche noch immer nicht angetrieben sei. Dann aber hieß es, »der Tote lieg im Schlick, und der Schlick gäbe nichts heraus, oder doch erst nach fünfzig Jahren, wenn das angeschwemmte Vorland Acker geworden sei. Dann würd er mal beim Pflügen gefunden werden, geradso, wie der Franzose gefunden wär.«
(Theodor Fontane, ›Unterm Birnbaum‹)
Angela Wiederschein litt schwer unter ihrer Schuld. Jetzt, wo der Verdacht dank der List ihres Mannes von ihnen genommen worden war, wurde alles nur noch schlimmer. Oft war sie versucht, zu diesem Schneeganß zu gehen und ein Geständnis abzulegen, denn für fünf Jahre im Gefängnis zu sitzen und wirklich zu büßen, erschien ihr als Erlösung. Aber es war unmöglich, diesen Weg allein zu gehen, und ihr Mann hätte womöglich vor Gericht ein Lebenslang zu hören bekommen, denn er war es ja, der Schulz mit dem Kissen erstickt hatte, sie war nur Mitwisserin und hatte beim Vertuschen der Tat Hilfe geleistet. Aber was hieß da ›nur‹? Hätte sie ihrem Mann energisch widersprochen, wäre Schulz noch am Leben, denn gegen ihren Willen hätte Rainer nicht handeln können. Wie sie es auch drehte und wendete: Sie war eine Mörderin. Die Erinnerungen jagten sie.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen / Des Mordes schwere Tat vollbracht! / Wir heften uns an seine Sohlen, / Das furchtbare Geschlecht der Nacht.
Angela Wiederschein hatte Schillers ›Die Kraniche des Ibykus‹ in der Schule auswendig gelernt und konnte noch immer fast alle Strophen fehlerfrei aufsagen.
Sie hätte das alles eher bedenken sollen. So blieben ihr nur die Mediziner mit ihren Tabletten und Pfarrer Eckel mit seinen Versuchen, sie wiederaufzurichten, aber natürlich auch ihr Mann.
Sie konnte sich jetzt gute Ärzte leisten, denn nach Schulz’ Tod waren sie ja schuldenfrei und hatten Geld wie nie zuvor auf ihrem Konto. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten dem ›à la world-carte‹ zu viel Publicity verholfen, die Leute strömten nach Frohnau.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Wiederschein?«
»Ich kann abends nicht einschlafen, Herr Doktor, und wenn ich dann weit nach Mitternacht eingeschlafen bin, habe ich so schreckliche Träume, dass ich gleich wieder wach bin. Alles zieht mich runter. Essen mag ich auch nicht mehr, denn andauernd habe ich Magenschmerzen und Durchfall.«
»Das hört sich ja gar nicht so gut an«, sagte der Arzt und maß erst einmal den Blutdruck. »185 zu 101 … Das ist entschieden zu hoch, der Idealwert liegt bei 120 zu 80. Sind denn Ihre Lebensumstände so, dass Sie viel Stress und Ärger haben?«
»Nein, eigentlich nicht, aber seit dem Tod meines Sohnes damals …«
»Haben Sie schon einmal an eine Therapie gedacht?«
»Ja, aber …« Sie kam dem Arzt mit einer Reihe von Vorbehalten gegen alle Psychologen und Psychiater, denn sie konnte ihm ja schwerlich verraten, dass sie dort nicht hingehen würde, weil sie Angst hatte, sich als Mörderin zu entlarven.
Mit neuen Rezepten verließ sie die Praxis, und die Tabletten minderten in der Tat die körperlichen Beschwerden, die psychischen aber blieben nicht nur, sie wurden sogar schlimmer. Angela Wiederschein fuhr nur noch selten in die Stadt und kapselte sich immer weiter ab, und wenn sie das Haus verließ, dann ging sie entweder zum Arzt oder in die Kirche. Und halbe Tage lang tat sie nichts anderes, als in der Bibel zu lesen.
Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und mein Horn des Heils und mein Schutz! Siehe mein Elend und errette mich …
Begierig folgte sie jedem Wort, das von der Kanzel her laut wurde, und nach der Predigt ging sie zu dem guten, ihr immer gleichmäßig geneigt bleibenden Eckel hinüber, um, soweit es ging, ihm Herz und Seele auszuschütten und etwas von Befreiung oder Erlösung zu hören. Aber Seelsorge war nicht seine Stärke, noch weniger seine Passion, und wenn sie sich der Sünde geziehen und in Selbstanklage erschöpft hatte, nahm der Pfarrer nur lächelnd ihre Hand und sagte genau das, was sie nicht hören wollte.
»Liebe Frau Wiederschein, wir sind alle mal Sünder und handeln nicht so, dass es dem Ruhme Gottes entspricht. Sie aber haben eine Neigung, sich zu quälen, die ich zutiefst missbillige. Sich ewig anklagen, ist oft Dünkel und Eitelkeit, und wir dürfen nicht andauernd zerknirscht sein, weil wir unser Vorbild Jesus Christus nicht erreichen können. Kommen Sie, ich zeige Ihnen lieber, wie prächtig meine Goldfische im neuen Teich gedeihen. Sie sollten sich auch einen anlegen.«
Bei den Goldfischen angekommen, brachte sie vor, was ihr seit Tagen durch den Kopf ging.
»Schulz war doch Katholik, Herr Pfarrer, kann man für ihn keine Seelenmesse lesen lassen?«
Eckel stutzte. »Eine Seelenmesse wird meines Wissens entweder am Tag des Begräbnisses oder am Jahrestag des Todes eines Menschen gelesen – aber bei Schulz steht doch gar nicht fest, dass er tot ist, er kann sich ja auch abgesetzt haben, weil er Steuerschulden hat oder ihm irgendeine Mafia nach dem Leben trachtet. Da wäre ein ›Requiescat in pace‹ – ›möge er in Frieden ruhen‹ – nicht ganz angebracht.«
Sprach Angela Wiederschein mit ihrem Mann, so brauchte sie sich nicht wie bei den Ärzten und dem Pfarrer krampfhaft kontrollieren und darauf achten, dass ihr kein falsches Wort entschlüpfte oder gar das Geständnis, eine Mörderin zu sein.
Wiederschein ließ keinen Dialog vergehen, ohne den Mord an Schulz moralisch zu rechtfertigen.
»Wieder ein Schwein weniger auf der Welt!«, rief er dann aus. »Und wir sollten einen Orden dafür bekommen, dass wir ihn eliminiert haben. Hunderte werden aufatmen und anfangen, wieder Freude am Leben zu haben.«
Mit matter Stimme wandte sie ein, dass man so nicht denken dürfe. »Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst. Es ist nicht unsere Aufgabe, Unmenschen aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Doch!«, beharrte Wiederschein. »Schulz zu töten war soziale Notwehr!«
»Wenn alle das tun würden!«, hielt sie ihm vor.
»Es tun ja nicht alle. Leider.« Er legte seinen Arm um ihre Schultern. »Was kann ich denn tun, um dich ein wenig aufzuheitern?«
»Schulz wieder lebendig werden lassen …«
Sie schloss die Augen und sah ihn vor sich, wie er mit Borsalino und wehendem Staubmantel ins Restaurant gestürmt kam, ein skrupelloser Machtmensch, ein Sadist, ein Ekel – doch wenigstens ein Mann mit einem unverwechselbaren Profil und keiner dieser unscheinbaren und jederzeit austauschbaren Mitläufer.
Wiederschein lächelte. »Drüben auf dem Grundstück haben sie gerade den Beton für die Garage gegossen. Schulz ruht dort drunten so sicher wie ein Pharao in seiner Pyramide.«
Angela Wiederschein schüttelte sich. »Immer wenn ich die Garage sehe, werde ich an ihn denken müssen und …«
Wiederschein hatte eine Idee. »Pass mal auf: Ich nehme einen Kredit auf, den bekommen wir ja jetzt, und lasse dir eine kleine Studiobühne in den Garten setzen, das versperrt dir 1) den Blick auf die Garage und du kannst 2) dein eigenes Off-Theater aufmachen. Vom Centre Bagatelle mal abgesehen, ist ja Frohnau eine Kulturwüste – und die Leute werden sich freuen, ein Theater direkt vor der Gartentür zu haben. Erst gut essen, dann – ohne sich die Füße schmutzig zu machen oder nass zu werden – dem Kunstgenuss im TAW, im Theater Angela Wiederschein, frönen. Oder umgekehrt: erst das Theater, dann das Restaurant. Na, ist das nichts, das berühmte Licht am Ende des Tunnels?«
»Ja, kann ich mir schon vorstellen.«
»Gut, du!« Wiederschein war Feuer und Flamme. »Ich rufe gleich ein paar Architekten an, sie sollen sich sofort Gedanken machen.«
Angela Wiederschein hoffte, dass es bald konkret etwas zu planen gab, denn Arbeit war wohl immer noch die beste Therapie gegen ihre Depressionen und ihre anderen Krankheiten.
*
Sandra Schulz saß mit ihrem Anwalt zusammen, um sich sagen zu lassen, wie sie am besten mit einer Situation umgehen konnte, in der alles in der Schwebe war.
»Ja, Frau Schulz … Bis zu einer Todeserklärung kann Ihre Erbschaft nicht abgewickelt werden. Das wird alles durch das Verschollenheitsgesetz geregelt. Noch können wir gar nichts unternehmen. Ihr Mann gilt als vermisst, im In- und Ausland wird nach ihm gefahndet, und man rückt, nachdem man in Wiederscheins Garten die falsche Leiche gefunden hat, immer mehr von der Arbeitshypothese ab, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Eher wird angenommen, dass er, warum auch immer, im wahrsten Sinne des Wortes abgetaucht ist. Da werden wir so schnell keinen Richter finden, der uns eine Todeserklärung ausstellt.«
Sie sprachen noch eine Weile darüber, wie sie es am besten anstellte, die Firma zu leiten, dann verließ sie die Kanzlei und machte sich auf den Weg zu Klütz. Sie wollte ihn zu Hause abholen, um mit ihm nach Frohnau auf sein Baugrundstück zu fahren.
Ihre Gefühle konnte sie noch immer nicht richtig einordnen. In der einen Sekunde war sie froh, von ihrem Mann befreit zu sein, dann aber tat er ihr leid. Er war ein Tyrann und ein Schurke, sicher, aber er konnte auch charmant und leidenschaftlich sein, und sie hatte ihm eine Menge zu verdanken.
In der Stubenrauchstraße war schwer ein Parkplatz zu bekommen. Weitab von Klütz’ Mietshaus fand sie endlich einen in der Kreisauer Straße. Um pünktlich bei ihm zu sein, nahm sie die Abkürzung über den Friedhof. Dort war einiges los. Eine Gruppe von gut und gerne 100 Trauergästen stand um ein offenes Grab herum und lauschte den Worten einer Pfarrerin, und eine wesentlich kleinere Schar ließ sich von einem professionellen Cicerone zu den Gräbern von Marlene Dietrich und Helmut Newton führen.
Sie fragte sich, ob und wann sie ihren Mann zu Grabe tragen würden. Vielleicht nie … Sie merkte, dass sie von ihm so schnell nicht loskam. Um diesen Ablösungsprozess zu beschleunigen, ließ sie sich, kaum war sie eingetreten, von Klütz ins Schlafzimmer ziehen und kräftig vögeln. Dabei schrie sie mehr, als es der Orgasmus eigentlich erforderte, denn etwas Besseres gab es nicht, von all den belastenden Gedanken loszukommen.
Als sie wieder bei Sinnen war, sah sie, dass Klütz humpelte.
»Gott, bist du von dem einen Mal so erschöpft, dass du am Stock gehen musst?«
»Hör auf, das sind doch meine Verletzungen vom Fußball!«
Sie kuschelten noch eine Weile, bevor sie sich auf den Weg nach Frohnau machten. An der Detmolder Straße kamen sie auf die Stadtautobahn, die an diesem Sonnabend nicht ganz so voll war wie sonst. Sandra Schulz konzentrierte sich auf den Verkehr, Klütz war müde. Sie schwiegen und ließen die vorbeihuschenden Bilder auf sich wirken. Das Kraftwerk Wilmersdorf, dessen drei Schornsteine wie vergessene NATO-Raketen in den Himmel ragten, das silberne Raumschiff des ICC, der Funkturm, einst ein Riese, aber angesichts der Fernsehtürme in aller Welt zum Zwerg geschrumpft, das Siemens-Imperium im Spreetal unten, der Flughafen Tegel.
Sandra Schulz kam es vor, als sähe sie das alles zum ersten Mal. Sie befand sich im Ausnahmezustand, seit ihr Mann verschwunden war. Alle Kontraste waren schärfer, alles war irgendwie unwirklich.
»Wenn er nun doch ermordet worden ist?«, fragte sie plötzlich.
»Wer?«
»Na, mein Mann!«
»Das höre ich nicht so gerne«, sagte Klütz.
»Was hörst du nicht so gerne?«
»Dass du ›mein Mann‹ sagst.«
»Was soll ich denn sonst sagen?«, fragte sie.
»Na: mein Ex.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das finde ich albern.«
»Dann meinetwegen: Schulz.«
Sie wollte sich nicht streiten. »Gut, wenn nun Schulz doch ermordet worden ist, obwohl sie bei Wiederschein auf dem Grundstück einen ganz anderen gefunden haben …?«
Klütz sah sie von der Seite an. »Traust du das seinem Neffen denn zu?«
Sandra Schulz überlegte. »Dazu kenne ich ihn zu wenig, aber er und mein … er und Schulz haben sich nicht gerade prächtig verstanden.«
»Mit wem hat sich Schulz schon prächtig verstanden?«, erwiderte Klütz.
»Eben. Darum kommen ja auch mindestens zwei Dutzend Leute als Mörder infrage, und ich kann einfach nicht verstehen, warum dieser Schneeganß die nicht alle unter die Lupe nimmt, alle, die auf Rache aus sein könnten.«
Sandra Schulz gab nicht viel auf Gefühle, Vorahnungen und den ganzen kabbalistischen Hokuspokus, aber sie wusste ganz einfach, dass ihr Mann nicht mehr lebte. Ein Lebender hätte irgendwelche geheimnisvollen Wellen ausgesendet, die sie erreicht haben würden. Aber da kam nichts. Schulz war vor dem ›à la world-carte‹ in seinen Porsche gestiegen, das war Fakt, und man hatte wenig später seinen Wagen im Oder-Havel-Kanal gefunden, ohne ihn. Also musste auf dem Weg von Frohnau nach Oranienburg jemand in seinen Wagen gestiegen sein. Wahrscheinlich ein Mann, vielleicht auch eine Frau. Der oder die musste ihn ermordet, irgendwo in Straßennähe versteckt und dann den Wagen im Kanal versenkt haben. Schneeganß hatte ihr zwar versichert, die Brandenburger hätten die Gegend, durch die Schulz gefahren sein musste, sorgfältig abgesucht, aber nichts gefunden, doch das glaubte sie nicht, denn überall hatten sie zu wenig Personal. Sie war furchtbar zornig auf die Berliner Kripo, und als sie vor Klütz’ Baugrundstück angekommen waren, griff sie erst einmal zum Handy, um einen befreundeten Journalisten anzurufen.
»Du, Peter, bitte mach mal was! Entweder sind die bei der Kripo unfähig oder sie wollen nicht, aber für mich steht fest, dass Siegfried zwischen Frohnau und Oranienburg ermordet worden ist und seine Leiche da irgendwo verbuddelt ist, wahrscheinlich im Wald zwischen Borgsdorf und Lehnitz. Dieser Schneeganß soll endlich mal in die Gänge kommen, seine These, dass Siegfried entführt worden ist, die ist doch Quatsch! Da hätte sich längst schon einer bei mir gemeldet.«
Nach diesem Gespräch ging es ihr besser, und sie folgte Klütz in wesentlich besserer Stimmung. Action is satisfaction.
Zwei Minuten später stand sie auf dem inzwischen hart gewordenen Boden der späteren Garage. Keinen Meter unter ihr lag ihr Mann im märkischen Sand, ohne dass sie es ahnte.
»Das ist ja alles wunderbar«, sagte Klütz.
»Was ist wunderbar?«
»Na, der Baufortschritt hier. Wenn das so weitergeht, können wir hier im neuen Heim Weihnachten feiern.« Klütz strahlte.
Sie lachte. »Na, so schnell möchte ich nun doch nicht in’s Heim.«
Klütz merkte nicht, dass sie das Altenheim gemeint hatte. »Du kannst doch nicht ewig allein bei dir in Wannsee in der Riesenvilla hocken.«
»Ich werde mir einen Harem zulegen, einen Männerharem. Es gibt so viele arbeitslose Traummänner, die für so ein Leben dankbar wären. Wenn ich erst das Vermögen meines Schulz geerbt habe …« Sie freute sich diebisch über diese Wendung.
Diesmal hatte Klütz ein Ohr für solche Nuancen. »Vielleicht hat dein Schulz dich bereits enterbt – und zwar wegen mir.«
»… und alles seinem Neffen hier vermacht.« Sie blickte auf Wiederscheins Grundstück hinüber, wo einige Gäste auf der Terrasse der ›à la world-carte‹ saßen und tafelten, sonst aber niemand zu sehen war.
Klütz zeigte auf den ehemaligen Pferdestall. »Der Makler hat mir erzählt, dass sie da ihre Gäste unterbringen, wenn die es nicht mehr nach Hause schaffen. Dort wird dein Schulz seine letzte Nacht verbracht haben …«
Sie sah ihn staunend an. »Woher weißt du denn das? Meinst du nicht, dass er bei seinen Verwandten im Haus geschlafen hat? Die werden bestimmt ein Gästezimmer haben.«
»Keine Ahnung. Das musst du doch wissen.«
»Ich war nur einmal hier draußen, zur Einweihung des Restaurants, und da sind wir abends wieder nach Hause. Rainer hat uns nicht angeboten, bei ihm zu übernachten.«
»Schöne Verwandtschaft«, murmelte Klütz.
»Ach, weißt du …« Sandra Schulz steckte sich eine Zigarette an. »Ich war mal in einer WG, da hatten wir auch einen Ethnologen, und der hat immer von den Dobu erzählt, das ist ein Eingeborenenvolk auf Neuguinea, deren Kultur nur durch Hass und Bosheit zusammengehalten wird – und das funktioniert seit Jahrtausenden.«
»Deinem Schulz müssen ja die Ohren klingen«, sagte Klütz.
»Ja, er als die große Integrationsfigur. Schade, dass er nicht mehr unter uns ist.«
*
»Herr, unser Gott, ausgelöscht wurde hier ein Leben von fremder Hand, aber nicht von der Hand eines Feindes, sondern von der eines Kameraden, eines falschen Kameraden.«
Rainer Wiederschein hatte es sich nicht nehmen lassen, zur Trauerfeier für den Soldaten zu gehen, dessen sterbliche Überreste er unter seinem Kirschbaum entdeckt hatte und die von den LKA-Leuten später ausgegraben worden waren. Alles sprach dafür, dass der Mann, dessen Namen man anhand seiner Erkennungsmarke herausgefunden hatte, als Deserteur von einem Feldjäger oder einem SS-Mann erschossen und schnell vergraben worden war.
Pfarrer Eckel hatte Mühe mit dieser Predigt. »Herr, wir sind fassungslos, wir können nicht begreifen, was Menschen dazu treibt, einen anderen Menschen zu töten. Ende April 1945, Hitler hat seinen Krieg verloren, Millionen Menschen sind gestorben, sind im KZ ermordet worden, sind auf dem Schlachtfeld zerfetzt worden, in den Luftschutzkellern erstickt, auf der Flucht erfroren oder ertrunken, Berlin liegt in Trümmern … Da will dieser junge Mensch, den wir unterm Kirschbaum gefunden haben, das Einzige retten, was ihm noch geblieben ist: sein Leben. Und er flüchtet sich nach Frohnau, um hier unterzutauchen und zu warten, bis der Wahnsinn endlich vorüber ist – da spüren die Schergen des Führers ihn auf und erschießen ihn. Nach über 50 Jahren wird er gefunden … Und nur zu rasch geht uns in einer Stunde wie dieser der Satz über die Lippen: ›Wie kann Gott das zulassen?‹ Doch dabei vergessen wir nur zu schnell, dass nicht du, Herr, das Böse vollbringst, sondern wir selbst – wir Menschen sind es, die einander dieses Schreckliche antun.«
Wiederschein hatte das Gefühl, dass nicht der Pionier Gerhard Röder im Sarg vor ihm lag, sondern der Kaufmann Siegfried Schulz, und irgendwann alle Blicke in seine Richtung gehen würden und die ganze Kirche anfangen würde zu schreien: ›Dort sitzt sein Mörder!‹
»Herr, lass du uns gerade in Augenblicken wie diesen unsere eigene Schuld vor dir erkennen, damit wir nicht maßlos werden in unserem Zorn, damit nicht der Gedanke an Rache jeden anderen Gedanken in uns erstickt.«
Wiederschein zitterte am ganzen Körper und geriet geradezu in Panik, weil er fürchtete, die Gewalt über sich zu verlieren und seine Schuld ins Kirchenschiff hinauszuschreien.
Als aber die Glocken läuteten, war dieser Anfall bereits vorüber, und er lief in der Mitte des Trauerzuges mit zum Grab, um seine drei Hände Erde auf den hellen Kiefernsarg zu werfen.
Was er dabei murmelte, hörte niemand, denn die Worte waren an seinen Onkel gerichtet: »Es tut mir leid, und ich würde es gern ungeschehen machen …«
Die Reue war wie ein Fieber über ihn gekommen, und er hatte es nicht verhindern können, aber schon auf dem Weg nach Hause war er wieder frei davon und fand es gut und richtig, die Welt von einem Unmenschen wie Siegfried Schulz befreit zu haben.
Als er im ›à la world-carte‹ angekommen war, zuckte er zusammen, denn die modisch chic gekleidete Dame, die dort auf der Bodenplatte der Garage stand, hatte eine unglaubliche Ähnlichkeit mit seiner angeheirateten Verwandten, mit Schulz’ Frau. Er hatte Sandra Schulz in seinem Leben keine dreimal gesehen und seit der Hochzeit, zu der die ganze Familie eingeladen worden war, eigentlich gar nicht mehr, sodass seine Verunsicherung verständlich war. Doch, sie war einmal zum Essen im Restaurant gewesen, aber da hatte er nur ein paar Worte mit ihr gewechselt.
Für die Ferne brauchte er eine Brille, und so machte er ein paar Schritte in Richtung Zaun. Da sah er dann, dass sie es tatsächlich war. Mein Gott, und sie stand genau auf der Grabplatte ihres Mannes, ohne auch nur das Geringste zu ahnen, zu spüren, zu fühlen. Wäre er nicht so erschrocken gewesen, hätte Wiederschein gegrinst: Eine schönere Tragikomödie ließ sich nicht denken.
Warum aber stand sie auf der Baustelle nebenan? Dass der Professor Schönblick sein Grundstück mitsamt dem begonnenen Neubau verkauft hatte, war ihm natürlich zu Ohren gekommen, aber er wusste nicht, an wen. Doch unmöglich an Sandra, das hätte ihm Schulz sicher erzählt, als er hier gewesen war, und es wäre des Zufalls auch zu viel gewesen. Und wer war der Mann an ihrer Seite? Ihr Anwalt, ihr Lover, ein Privatdetektiv?
Wiederschein war sich unsicher über die optimale Vorgehensweise. Sollte er im ›à la world-carte‹ verschwinden, ohne sie zu begrüßen, oder sollte er offensiv auf sie zugehen und über das Verschwinden ihres Mannes mit ihr reden? Er entschloss sich zur zweiten Variante und tat so, als würde er gedankenverloren durch seinen Garten schreiten, um aus der Remise hinten eine Liege zu holen. Ganz wie er es erwartet hatte, rief sie seinen Namen, als er an ihr und ihrem Begleiter vorüberkam. Gut gespielt fuhr er zusammen.
»Sie hier, Frau Schulz? Oder: Sandra … Hatten wir uns eigentlich … als Cousin und Cousine oder Onkel und Tante oder Tante und Neffe oder was weiß ich …?«
»Nein, aber duzen wir uns.«
Sie kam an den Zaun, der von ihm nur notdürftig geflickt worden war, nachdem er Schulz hindurchgezogen hatte.
»Mein herzliches …« Wiederscheins Herzschlag setzte aus. Fast hätte er gesagt ›mein herzliches Beileid‹ und sich verraten, denn diese Wendung gebrauchte ja nur einer, der wusste, dass der Lebens- oder Ehepartner des anderen gestorben war.
Sandra Schulz lächelte. »Danke für dein Mitgefühl, ja, es ist schon schrecklich alles, aber …«
Nun lächelte auch Wiederschein, denn dieses Aber sagte alles, fasste zusammen, dass der Tod ihres Mannes für sie ein Geschenk des Himmels war. Und irgendwie kam er sich wie ein Killer vor, den sie dafür bezahlt hatte, Schulz aus dem Weg zu schaffen. Irgendwie juckte es ihn zu sagen: ›Den Dank, Dame, begehr’ ich nicht!, aber wenn Sie 10.000 Dollar auf mein Konto überweisen würden, hätte ich nichts dagegen, denn so viel muss es Ihnen doch wert gewesen sein, von diesem Scheusal erlöst zu werden.‹
Das sagte er nicht, er fragte sie, nachdem sie eine halbe Minute lang pietätvoll geschwiegen hatten, ob sie nach Frohnau gekommen sei, um mit ihm und Angela über die letzten Stunden ihres Mannes zu reden.
»Nein, das auch, aber … Darf ich dir Karsten Klütz vorstellen.« Sie wartete, bis Klütz an den Zaun gekommen war und Wiederschein die Hand gereicht hatte. »Karsten und ich …«
»Ich habe das Grundstück hier gekauft«, sagte Klütz. »Wir werden also in Zukunft Nachbarn sein.«
»Freut mich«, log Wiederschein, denn dieser Klütz war ihm vom ersten Augenblick an herzlich unsympathisch. Typen wie er hatten ihn auf dem Schulhof immer verprügelt. Später waren sie dann Polizisten und Zöllner geworden und hatten ihn in den Knast gebracht.
»Karsten war mal ein bekannter Fußballer«, erklärte ihm Sandra Schulz.
»Ah, ja.« Wenn Wiederschein etwas hasste, dann waren es diese hirnlosen Jungmillionäre. Es war offenbar Sandras Schicksal, immer nur auf Kotzbrocken abzufahren. Aber es gab ja auch Frauen, die Mörder liebten. Wie seine zum Beispiel.
»Du hast ein wunderschönes Restaurant«, sagte Sandra Schulz.
»Ja, kommt doch bitte rüber«, sagte Wiederschein. »Ihr seid herzlich eingeladen. Unsere Dorade heute ist fantastisch.«
Sandra Schulz schüttelte sich. »Nein, kein Fisch.«
»Wieso, bist du Vegetarierin?«
»Nein, aber mein … aber Schulz könnte noch im Oder-Havel-Kanal liegen …«
»Oh, Pardon!«
Wiederschein führte die beiden ins Restaurant und bat Matti Kemijärvi wie auch Bharati, sie mit ganz besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln. Er selbst bat um die Erlaubnis, sich für ein paar Minuten entfernen zu dürfen.
»Ich will nur Angela holen, damit wir zu viert beim Essen ein wenig plaudern können.«
Als Wiederschein durch den Flur ging, kreuzte Freddie seinen Weg. Er wollte schnell vorüber, doch sein Faktotum hielt ihn am Ärmel fest.
»… kleinen Moment mal bitte!«
»Was ist denn?« Wiederschein wollte schnell zu Angela, um ihr die Neuigkeit des Tages mitzuteilen, und reagierte etwas ungehalten.
Freddie hielt ihm eine BahnCard First 25 hin, ausgestellt auf den Namen Siegfried Schulz und mit dessen Foto versehen.
Wiederschein war kreideweiß geworden und stotterte. »Ja, klar, das ist seine, aber was soll ich damit, ich fahre nie mit der Bahn …«
»Die hat hinten am Zaun gelegen«, sagte Freddie.
Dabei streifte ihn der alte Gauner mit einem Blick, den man wissend nennen konnte. Sollte er alles durchschaut haben, aber den Mund halten, weil er andernfalls alles verloren hätte: sein sicheres Einkommen, sein Zuhause, seine Familie?
Wiederschein fing sich wieder und versuchte, gelassen zu wirken. »Die wird er verloren haben, als er nachts pinkeln gegangen ist. Ich weiß, dass er Toiletten hasst und sich lieber im Freien an einen Baum stellt.« Mit viel Mühe hatte er bei seinem letzten Satz die Vergangenheitsform vermieden.
»Ich wollte es Ihnen ja nur gesagt haben.«
Damit entfernte sich Freddie in Richtung Weinkeller. Wiederschein sah ihm nachdenklich hinterher. Hatte Freddie Beweise, würde er anfangen, ihn zu erpressen? Und er ermahnte sich: Aufpassen, Wiederschein, aufpassen! Und nicht mehr blass werden. Kaltblütig sein, sonst gibt es noch ein Unglück!
*
Carola Laubach ging, obwohl sie eigentlich Atheistin war und keinen Pfennig Kirchensteuer zahlte, fast jeden Sonntagvormittag zur Kirche. Wie anders hätte sie sonst kompetent über die Predigten der Pfarrerinnen und Pfarrer herziehen können. Eine Bibel hatte sie zu Hause, und so würzte sie ihr Urteil über die Geistlichen stets mit einem Vers aus der Bibel, so zum Beispiel Hiob Kapitel 15, Verse 2 und 3: Soll ein weiser Mann so aufgeblasene Worte reden und seinen Bauch so blähen mit leeren Reden? Du verantwortest dich mit Worten, die nicht taugen, und dein Reden ist nichts nütze. Auch Matthäus Kapitel 22, Vers 14, ließ sich als Munition benutzen: Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Und ließ sich weder im Alten noch im Neuen Testament etwas Ätzendes finden, dann tat es auch Theodor Fontane: … Das ist immer das Schlimme, dass die Menschen gerade die Passion haben, die sie nicht haben sollen.
Pfarrer Eckel bekam von ihr nie eine bessere Note als eine Vier minus, und das, was er sagte, hinterließ bei ihr keinerlei Wirkung, er predigte also bei ihr in der Tat nur tauben Ohren. An diesem Sonntag aber sollte das Wunder geschehen, dass er Worte fand, die ihr zu Herzen gingen.
Eckel kam noch einmal auf das
zurück, was im Garten des
›à la world-carte‹ geschehen und Rainer Wiederschein widerfahren
war. Dazu wählte er als Einstieg eine Textstelle aus einem der
weithin unbekannten prophetischen Bücher.
»Bei Sacharja steht im 7. Kapitel, in den Versen 9 und 10 geschrieben: Richtet recht, und ein jeglicher beweise an seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit; und tut nicht Unrecht den Witwen, Waisen, Fremdlingen und Armen; und denke keiner wider seinen Bruder etwas Arges in seinem Herzen. Nun, liebe Gemeinde, ein jeder von uns frage sich, wer denn im Fall des Toten im Garten unseres Gasthauses nicht auch einen Stein auf einen unserer Brüder geworfen hat? Es steht fest, dass unser Bruder Rainer Wiederschein keinen anderen Menschen umgebracht und unter seinem Kirschbaum vergraben hat, auch hier hat der Schein getrogen, und wir alle müssen ihm Abbitte leisten, einige mehr, andere weniger.«
Dabei hatten sich alle Augen auf Carola Laubach gerichtet, und sie, die sonst nie einer in Verlegenheit bringen konnte, wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken, so sehr setzte das Kreuzfeuer so vieler Augen ihr zu. Sie verstand sich selbst nicht mehr und nickte nur leise mit dem Kopf, als würde sie von jetzt ab jedes Wort billigen und schätzen, das Eckel noch sprach, und war beim Vaterunser zutiefst gerührt, als es hieß: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Von Wiederschein ließ sie also ab, zumal sie eine Verleumdungsklage seinerseits befürchten musste. Und es war echte Reue, die sie da an den Tag legte, aber damit war das Böse in ihr nicht abgetötet, es suchte sich nur eine andere Zielperson, und die hieß Karsten Klütz.
Seit sie den Exbundesligaprofi zum ersten Mal auf seinem Grundstück gesehen hatte, hasste sie ihn, und ihrem Freund Axel Siebenhaar gegenüber spuckte sie Gift und Galle.
»Gibt es denn kein Gesetz, das es dem Plebs verbietet, nun auch noch unser schönes Frohnau zu besetzen? Ein Fußballer! Fußball ist barbarisch, ist Unkultur hoch drei. Und wie der Mann schon aussieht: Die Neandertaler sind zurück. Im Grundgesetz steht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, aber meine Würde ist in hohem Maße angetastet, wenn dieser Klütz, dessen Intelligenzquotient mit 70 noch zu hoch angesetzt ist, mein Nachbar wird. Außerdem, was ist denn das für eine Moral: Dieser Schulz wird noch vermisst, da nimmt er sich dessen Frau zur Geliebten. Das ist doch widerlich!«
Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Da kann man nichts machen: Geld regiert die Welt, und er hat es gehabt, um dem Professor Schönblick Grundstück und Rohbau abzukaufen. Und zwischen ihm und Ihnen liegt ja noch das Restaurant, als Puffer sozusagen.«
Für Carola Laubach war das nur ein schwacher Trost, und es arbeitete in ihr, Tag und Nacht. Wie konnte sie verhindern, dass Klütz, war sein Haus erst fertig, wirklich den Frohnauer Lebensraum mit ihr teilte, wie konnte sie ihn eliminieren?
Sie brütete lange über dieser Frage, dann hatte sie eine Möglichkeit gefunden, Klütz unter Druck zu setzen. Sie rief bei der Kripo an und ließ sich mit Gunnar Schneeganß verbinden.
»Hier spricht Carola Laubach, die Nachbarin von Herrn Wiederschein … Frohnau, das ›à la world-carte‹, Sie wissen ja. Entschuldigen Sie die Störung, Herr Kommissar, aber es wird ja um zweckdienliche Hinweise im Falle Schulz gebeten, und da habe ich Ihnen von einer weiteren Beobachtung Kenntnis zu geben, die ich für wesentlich halte …«
»Ja, und das wäre …?«, fragte Schneeganß.
Carola Laubach zögerte nicht lange, um zum Eigentlichen zu kommen. »Wissen Sie eigentlich, dass Frau Schulz einen Liebhaber hat?«
»Über unsere bisherigen Ermittlungsergebnisse darf ich Ihnen keine Mitteilung machen.« Schneeganß blieb förmlich und hielt sich bedeckt.
»Sie hat einen, und der heißt Karsten Klütz. Ein Fußballer, der das Grundstück neben Herrn Wiederschein gekauft hat.«
»Und wo ist da der Zusammenhang mit dem Verschwinden von Herrn Schulz?«, wollte Schneeganß wissen.
»Was, den sehen Sie nicht?« Die Ignoranz des Kommissars war ein weiterer Beweis für sie, wie schnell die deutsche Gesellschaft verblödete. »Klütz hätte doch allen Grund gehabt, Schulz zu ermorden, um dessen Frau, Sandra heißt sie, für sich zu haben.«
Schneeganß blätterte in irgendwelchen Papieren. »Als Herr Schulz frühmorgens in seinen Porsche gestiegen ist, hat Herr Klütz in Schönefeld am Schalter gestanden, um für einen Flug nach München einzuchecken. Er ist ja Spielerberater, und es gab da eine Möglichkeit für ihn, einen seiner Jungstars unterzubringen. Dies bitte ich, vertraulich zu behandeln. Es steht zwar im kicker, aber … Dann danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Tag.«
*
Marco Kurzrock hatte noch immer eine geschwollene und violett schimmernde Nase, die gehörig schmerzte, wenn er zum Taschentuch greifen musste. Aber auch das Küssen war alles andere als lustvoll. So hoffte er, dass es Vanessa an diesem Abend dabei beließ, mit ihm ins Kino zu gehen. Sie wohnte in einem langweiligen Häuserblock in der Geisenheimer Straße, in dem ein Haus aussah wie das andere. Er kam vom Rüdesheimer Platz und hatte Glück, Ecke Markobrunner Straße einen Parkplatz zu finden.
Langsam stieg er die Treppen hinauf, denn geriet sein Blut zu sehr in Wallung, wurde es mit der Nase noch schlimmer.
»Aufpassen!«, rief er, als die Verlobte ihre Wohnungstür geöffnet hatte, denn für gewöhnlich kam Vanessa regelrecht auf ihn zugeflogen.
Doch heute dachte sie gar nicht daran, sich in seine Arme zu werfen, sondern gab sich mehr als distanziert und fauchte nur: »Natürlich muss man bei dir aufpassen, was denn sonst?«
Kurzrock verstand die Welt nicht mehr. »Was ist los?«
»Eine Menge ist los, komm erst mal rein!« Vanessa trat zur Seite. Er quetschte sich an ihr vorbei, ging ins kleine Wohnzimmer und setzte sich an den Tisch. »Ich fühle mich richtig als Angeklagter …«
»Das Gefühl kennst du ja«, sagte sie.
Das saß, denn es ließ sich nicht abstreiten, dass er eine ganze Latte an Vorstrafen aufzuweisen hatte. Allesamt Jugendstrafen zwar, aber immerhin, zumeist Körperverletzung und Sachbeschädigung. So fragte er ziemlich kleinlaut, was denn nun sei. »Ich bin mir keiner Schuld bewusst …«
»Und die 5.000 Mark?«, fragte Vanessa.
»Welche 5.000 Mark?«, fragte er zurück.
»Na, die plötzlich auf deinem Konto sind.«
Kurzrock gab sich harmlos. »Die sind für unser Schlafzimmer, Nessie!«
»Ich will wissen, wo die her sind?« Sie wurde immer mehr zur Staatsanwältin.
»Woher weißt du überhaupt, dass ich 5.000 Mark auf meinem Konto habe?«
»Na, woher wohl?« Sie war Bankkauffrau, und er hatte sein Konto bei ihrer Bank.
»Und das Bankgeheimnis?«, rief er.
»Lenk nicht ab, wo sind die her? Du, wenn du wieder ein Ding gedreht hast, dann ist es aus mit uns! Für immer! Das mach ich nicht mit!«
Was blieb ihm da anderes übrig, als ein Geständnis abzulegen und ihr die Sache mit Schulz und Klütz zu erzählen.